Hänsel und Gretel in Bir

Mit dem Jeep fuhren wir von Leh in Ladakh nach Manali. Diese Fahrt startet um zwei Uhr morgens und dauert 16-18 Stunden. Bevor der Jeep kommt, kann man nur hoffen, dass dieser in einem guten Zustand ist, nicht allzu viele weitere Passagiere zusteigen werden und dass der Fahrer ausgeschlafen ist. Für die ganze Stecke gibt es nur einen Fahrer und es werden nur ein paar kurze Esspausen eingelegt. Ein paar Gebete am Anfang sind sicherlich nicht fehl am Platz.

 

Landschaft und Aussicht sind spektakulär. Ebenso faszinierend ist der Strassenzustand. Die ganze Strecke ist 450km lang. Geteilt durch die Fahrzeit, bedeutet dies, dass man durchschnittlich mit 30km/h fährt. Die Strasse ist voller Schlaglöcher und Geröll. Überall wird gebaut wobei das meiste von Hand gemacht wird. Der instabile Untergrund und das Wetter zerstören die Arbeit aber innert kürzester Zeit wieder. So muss eine Arbeitertruppe, wenn sie oben mit Mäuerchen bauen fertig ist, wieder unten anfangen.

In Manali erholten wir uns während zwei Tagen von der anstrengenden Fahrt bevor wir weiter nach Bir fuhren. Bir ist eine tibetische Kolonie zwei Stunden neben Dharamsala und die Heimat der Familie meiner Tante. Seit meinem letzten Besuch ist das Dorf ein wenig gewachsen, vor allem aber wurden die Häuser grösser. Die meisten Einwohner haben mittlerweile Verwandte im Ausland, welche regelmässig Geld schicken. Vergleicht man ihre Lebenssituationen mit der Mehrheit in Indien, haben die dort lebenden Tibeter sich gut mit der Situation arrangiert. 

 

Wir kamen zu einer sehr geschäftigen Zeit und wohnten darum wir in einem der neuen Gasthäuser. Meine Cousine wurde im März Mutter und war zudem mit dem Beerdigungsritual für ihren Schwieger-Grossvater beschäftigt. Wie üblich in Indien ist sie nach der Heirat zu ihrem Mann und seinen Eltern gezogen und gehört nun zu deren Familie. Wenn jemand stirbt muss man eine Puja abhalten. Puja ist der Überbegriff für Gebetsrituale. Für den Verstorbenen muss eine 49-tägige Puja abgehalten werden, wobei Mönche ins Haus kommen und für den Toten beten. Je vermögender eine Familie ist, desto aufwändiger sollte die Puja sein, das heisst, desto mehr Mönche sollten engagiert werden. Die Puja würdigt den Toten und stellt sicher, dass er einen guten Übertritt in das nächste Leben hat. Die engagierten Mönche werden je nach Rang bezahlt. Die Günstigsten kosten 500 Rupien am Tag. Zusätzlich möchten sie jedoch den ganzen Tag bewirtet werden. So waren meine Cousine und ihre Familie konstant daran, Essen für die 8 bis 20 Mönche zu kochen. Der Schwiegervater war währenddessen damit beschäftigt, intensiv Butterlappen herzustellen. Pro Tag mindesten 400 Stück, auch das ein Teil der Puja.

Das Ritual finde ich eine schöne Sache, die hohen Preise dafür weniger. Auch eine billige Puja kostet eine Familie locker 50'000 Rupien, was in etwa einer College-Jahresgebühr entspricht. Hat eine Familie wenig Geld, so wird sie sich in der Regel für eine Puja und nicht für die Schule entscheiden. 

 

Meine Tante und ihr Mann waren ebenfalls sehr beschäftigt. In dieser Gegend besuchen die meisten Kinder ein Internat. Oftmals, da es im Dorf keine weiterführenden Schulen gibt. Einmal im Monat haben die Kinder Wochenende und können, sofern sie in der Nähe wohnen, nach Hause. Wohnen sie zu weit weg, dürfen sie ins nächste Dorf gehen. Diesen Umstand machte sich meine Familie zu Nutze und hat ein Telefon- und Fast Food Laden eingerichtet. Die Kinder können nach Hause telefonieren und währenddessen Snacks essen. Da wir genau während des schulfreien Wochenendes dort waren, konnten wir auch meine jüngste Cousine sehen. Sie geht 20 Minuten entfernt zur Schule, aber da sie jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen muss, wohnt sich auch dort.

Trotz der vielen Arbeit nahmen sich alle Zeit, um mit uns die umliegenden Klöster zu besuchen und uns das Dorf zu zeigen. Daneben stellten sie sicher, dass wir garantiert nie hungrig waren. Konstant bekamen wir riesige Portionen aufgetischt und wurden ausgelacht, dass wir nicht alles aufessen konnten. Wir wurden nicht nur hervorragend bekocht, sondern richtiggehend gemästet. Bald schon fühlten wir uns wie Hänsel und Gretel.

 

Nichtsdestotrotz hatten wir eine tolle Zeit in Bir. Es war schön, meine Familie nach so langer Zeit wieder zu treffen und zu erleben, wie sehr sie sich freuten, uns bei sich zu haben.

 

Die letzten Tage in Delhi waren um einiges besser als die Ersten. Trotzdem, das schöne Land ist voller Inder, die es schafften, jegliches Bedürfnis wieder zu kommen innerhalb kürzester Zeit Zunichte zu machen. 

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