Skandinavien – Ein idealer Puffer

Die Ankunft in Helsinki war so ziemlich der grösste Kulturschock unserer Reise. Niemand spuckte oder rotze, keine ohrenbetäubenden Hupeen und niemand pries sein Taxi oder Hotel an. Der Hotelshuttle wurde von einer Frau gefahren, welche die ganze Zeit über auf ihrer Fahrspur blieb und kein einziges Mal die Tür öffnete, um raus zu spucken. Es war herrlich und irritierend zugleich. Im Zimmer kam dann das Beste: trinkbares und zugleich gut schmeckendes Hahnenwasser! Wir hatten vergessen, dass es das gibt und schätzten es umso mehr. 

Wir blieben nicht lange in Helsinki sondern nahmen am nächsten Morgen gleich den Flieger nach Oulu. Oulu liegt an der Westküste Finnlands, so ziemlich in der Landesmitte. Unser Ziel war es, die letzten Tage unserer Reise in Lappland zu verbringen, bis zum Nordkapp zu fahren und die Mitternachtssonne zu erleben.

In weniger als 48 Stunden waren wir also von einer der am dichtesten besiedelten Stadt der Welt (22'419 Einw./km2) in eines der am spärlichsten Besiedelten Gebiete Europas (2 Einw./km2) gereist. Es war angenehm, entspannend und manchmal irritierend zugleich. Sogar die Infrastruktur war verwirrend. Alle Häuser waren komplett fertig gebaut, alle hatten Fensterscheiben, es lag kein Baumaterial im Garten oder vorne auf der Strasse und diese hatte keine Löcher in der Fahrbahn. Wir genossen es aber empfanden es auch als entsetzlich langweilig. Nach so langer Zeit in Asien, wo die Reize die ganze Zeit bis zur Überflutung stimuliert wurden, waren wir uns das gar nicht mehr gewohnt. Langsam aber sicher realisierten wir, wie sehr uns Indien tatsächlich mitgenommen hatte und der Stress richtiggehend aus unseren Körpern gesogen wurde. Es dauerte eine Weile, bis das System die hohe Kadenz der Reizverarbeitung, ausgelöst durch Lärm und Geräusche, durch Gesehenes, Gerüche und Gestank, nicht mehr vermisste.

So merkten wir, dass das ruhige Lappland mit seinen endlosen Wäldern und zahlreichen Seen genau die richtige Übergangsgegend war. Die Stille half einem zur Ruhe zu kommen und jegliche Indien-Verspannung war nach ein paar Tagen wie wegeblasen. 

Erst fuhren wir aber ins nahe Schweden wo wir einige von Michi’s Verwandten, welche sich in der Nähe im Trainingslager befanden, besuchten. Danach fuhren wir Nordwärts. Skandinavien ist ziemlich teuer und so versuchten wir die Kosten mit Picknicks und Campingplatz-Übernachtungen tief zu halten. Tierbeobachtungen waren zum Glück kostenlos und die zahlreichen Rentiere beendeten dann auch unsere Säugetiersichtungs-Durststrecke.

 

Mit unserem Skoda erreichten wir nach zwei Tagen Fahrt das Nordkap. Der berühmte Ort ist eigentlich eine steile Klippe mit der Globus-Statue und der Besucherterrasse. Wir nahmen an, dass der Ort frei zugänglich ist und wurden eines besseren belehrt. Die Norweger bauten nebenan ein Museum und verlangen nun einen horrenden Eintrittspreis. Die 80 beziehungsweise 50 Franken pro Person erschienen uns ziemlich hoch um eine Stahlkugel und Steine anzuschauen. Ein Blick in die Broschüre zeigte, dass der wirklich nördlichste Punkt gar nicht das sogenannte Nordkap ist, sondern der Knivskjellodden Punkt etwas weiter westlich. Diesen kann man gratis besichtigen, wenn man bereit ist, eine 18km Wanderung zu machen. Wir wollten nicht mehr viel Geld ausgeben, aber wir hatten immer noch Zeit.

 

So machten wir uns um 10 Uhr Abends auf den Weg. Glücklicherweise gab es nur einen Pfad und dieser war noch zusätzlich mit Steintürmen markiert. Sobald man den ersten Hügel hinter sich hat, schaut die Landschaft überall gleich aus und es wäre ein leichtes, sich zu verirren. Es war ein tolles Erlebnis, spätnachts bei Sonnenlicht zu wandern, irgendwie surreal. Nach über zwei Stunden erreichten wir das Meer und einen Steinhaufen mit einem Gummistiefel drauf. Wir waren etwas enttäuscht, da wir uns etwas pompöseres am nördlichsten Punkt vorgestellt hatten. Nicht einmal die Mitternachtssonne sah man von diesem Punkt aus. Um doch noch ein Foto von diesem berüchtigten Naturphänomen zu schiessen, wanderten wir weiter und merkten bald, dass der Gummistiefel nicht das Wegende markiert hatte. Etwas müde und mit nassen Füssen erreichten wir um ein Uhr morgens schliesslich Knivskjellodden, schön markiert mit einem grossen, beschrifteten Wegstein. Wir genossen die Mitternachtssonne und die Aussicht auf das teure Nordkapp mit Metallglobus, der sich nun etwas weiter südlich befand. Der Rückweg wurde zu einem nicht-endend wollenden Spaziergang. Um vier Uhr erreichten wir das Auto und schliefen sofort ein.

Wir verbrachte noch ein paar Tag in Lappland, inklusive einem Besuch beim Santa Claus und natürlich dem zelebrierten Überqueren des Polarkreises. Bevor es definitiv in die Schweiz zurück ging blieben wir noch zwei Tage im warmen Helsinki und genossen das fast durchgehende Tageslicht.

Wir feierten das Ende unserer Reise wir mit dem Besuch eines echt finnischen Rockkonzerts. Im vollen Keller einer Rockbar merkten wir schnell, dass die litauische Ska-Vorband um einiges spassiger war als die jaulende Hauptband. Nichtsdestotrotz hatten wir einen tollen letzten Abend bevor wir ins Bett fielen, um von unseren nächsten Abenteuer zu träumen.

 

Vielen herzlichen Dank an alle, welche unsere Reise verfolgt haben!!!

 

Falls die Reiselust ebenfalls geweckt wurde, dann findet ihr unter „Unsere Reise“ ein paar Tipps zur Budgetplanung und weiteren Punkten. 

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